Berlin 1877 - 1962 Murnau
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1907/1908, Farblinolschnitt auf feinem Japan
13,4 × 23,4 cm
„Wäsche am Strand“, der bekannteste Farblinolschnitt Gabriele Münters, entsteht in der Frühphase ihres Werkes während des gemeinsamen Aufenthaltes mit ihrem Lebensgefährten Kandinsky in Paris 1906/07. Beide Künstler entdecken die Technik für sich und perfektionieren diese. Der Linolschnitt erlaubt es Münter immer wieder neue Farbkompositionen innerhalb eines Motivs zu verwenden, um verschiedene Stimmungen wiederzugeben. So entwickelt die Künstlerin während ihres Frankreich-Aufenthaltes ihren ganz eigenen Stil mit einer flächenhaften Darstellung, stets neuen Farbkompositionen und einer raffinierten Formvereinfachung, ganz im Sinne der Moderne.
Münters Experimentierfreude und erstaunliche Meisterschaft in der Beherrschung des Linolschnitts ist am Beispiel unseres Blattes „Wäsche am Strand“ hervorragend nachzuvollziehen. Ihr wunderbar poetisches Motiv entdeckt sie im Winter 1905: ein kleines Mädchen steht vor einer Wäscheleine am Strand der Bucht von Rapallo. Münter notiert dies sogleich in ihr Skizzenbuch, ebenso entstehen eine Kreidezeichnung, mehrere Photos und kleine Gemälden. Gegenüber diesen Entwürfen ist das Sujet im zwei Jahre später entstandenen Linolschnitt deutlich auf eine betörend schöne, abstrakte Formensprache verknappt. Es dominieren die Wäsche auf der horizontal gespannten Leine mit den dazugehörigen, teils undefinierbaren Schattenformationen. Faszinierend an diesem Druck sind neben dem hohen Abstraktionsgrad die dezente, harmonische Farbgebung und die kaum sichtbaren Konturen des Druckstockes. Rosel Gollek schreibt dazu 1977: „Schließlich komprimiert sich der banale Anlaß, der zufällige Augeneindruck in seiner Trivialität zu einer zeitlosen Gültigkeit, in der nahezu eine geschichtliche Dimension, Dichtung und Humor ganz unbemerkt mit ins Bild gelangen“.
Unser Druck ist eine kleine kostbare Rarität und gehört zu den gefragtesten und seltensten Graphiken der Moderne. Außer den drei im Lenbachhaus in München vorhandenen Exemplaren sind 13 weitere bekannt – jedes für sich ein Unikat, da Münter bis zu sechs unterschiedliche Farbstöcke jedes Mal neu miteinander kombiniert. Dies verleiht dem Werk zusätzlich einen seriellen Charakter, der an die berühmten Siebdrucke von Andy Warhol erinnert.