BEDEUTENDES NÜRNBERGER TRINKSCHIFF MIT KALTMALEREI VON ESAIAS ZUR LINDEN –
Nürnberg, um 1609/1629, Silber, getrieben, gegossen, punziert, ziseliert, teilvergoldet; partielle Farbfassung in Kaltemail
Höhe: 21 cm, Länge: 16,2 cm, Breite 6,2 cm
Ein prunkvoll gestaltetes Silbergeschirr galt als besonderes Highlight der frühneuzeitlichen Trinkkultur: Es diente nicht nur der Standespräsentation an Höfen, sondern war vom Fürstenhof bis hin zum Patriziat der führenden Reichsstädte beliebt. Platziert an prominenter Stelle vor dem Ehrengast der Tafel, diente es der Faszination und Belustigung der versammelten Tischgesellschaft.
Das von Esaias zur Linden gefertigte silberne Miniatur-Segelschiff konnte auf Rädern beim Gelage effektvoll über die Tafel geschoben werden.
Der Bauch des Schiffes wurde mit Flüssigkeit angefüllt und das Getränk durch ein röhrenförmiges Trinkrohr am Bug des Schiffes genossen. Dabei sah sich der Trinkende der Herausforderung gegenüber, der wehrhaften Lanze des verteidigenden „Mauren“ auszuweichen. Dieser zielte direkt auf die Nase des tapferen Tischgenossen. Die zierliche Volutenspange am Heck diente als Handhabe des Trinkgefäßes, das zum Trinken angehoben werden musste.
Esaias zur Lindens besonders erzählerische Darstellung zeigt eine wehrhafte Schiffsbesatzung, bestehend aus 8 kleinen, teils mit Turban und Pluderhosen, teils mit Rock und Helm versehenen bärtigen Soldaten unterschiedlichster Herkunft. Während Kleidungsstücke wie Turban und Pluderhosen an Mauren erinnern, schwankt das Aussehen der Kopfbedeckungen zwischen der Schützenhaube und dem Schlapphut der einfachen westlichen Schiffsbesatzung – ein buntgewürfelter exotischer Haufen also. Die Besatzung steht auf einem ästhetisch geschwungenen, durchbrochenen Vorder- und Hinterdeck. Mit großer Vehemenz verteidigen die Soldaten das Schiff mit angelegten Gewehren und Lanzen. Den Oberbefehlt hat ein mit Brustharnisch gerüsteter und behelmter Kämpfer mit nach oben erhobener Lanze inne, der sich durch seine kerzengerade Haltung und den in die Ferne gerichteter Blick von den Verteidigern abhebt. Gesteuert wird das Schiff von einem Mann mit Helmkappe, der am Steuerbord gegenüber dem Segel sitzt und mittels „Kolderstock“ die Fahrtrichtung des Schiffes kontrolliert. Daneben schwingt ein behelmter Soldat eine wehende Flagge.
Das aufgeblähte, in vier Wülste unterteilte, silberne Segel „treibt“ das Schiff in die Richtung des Trinkenden. Eine doppelzüngige Flagge am Mast, mit Halbmond auf der einen und Stern auf der anderen Seite, flattert im Fahrtwind in die entgegengesetzte Richtung: Der Segler ist also in „voller Fahrt“ unterwegs. Gedrehte Silberdrähte dienen als Taue. Sie verbinden das Segel mit der Reling des Schiffes. Die vergoldete Kugel im Mastkorb ist bei zahlreichen weiteren Trinkschiffen mit Rädern von Esaias zur Linden zu finden.
Zwei maritime Fabelwesen zieren den Korpus des Schiffes auf den Längsseiten, sie erinnern trotz partiellem Schuppenmuster an Delphine. Die bewegte Meeresoberfläche ist aufwendig getrieben und graviert, die Schuppen der Meerwesen sind teilweise punziert. Zum Bug und Heck hin, überspielen aufgewühlte Wellen in Form von Schweifwerk die ansonsten gradlinige Reling des Segelschiffes. Montierungen an der Seitenwand des Schiffes sind durch vier aufwendig gestaltete silberne Blüten verdeckt. Die Vergoldung von Schiffsrumpf, Mast, Kugel und Trinkrohr kontrastiert mit den weiß-silbernen, polierten Flächen des Segels, der Flagge am Mast, den Rädern, Blüten und blitzenden Lanzen. Hervorzuheben ist insbesondere die selten erhaltene Farbfassung der gegossenen Figürchen und der vom Soldaten erhobenen Flagge. Dabei war für Goldschmied und Besitzer nicht die „Funktionstüchtigkeit“ des Schiffes von Bedeutung, sondern deren ästhetischer und formvollendeter Anspruch. Die für unsere Sehgewohnheiten ungewohnten, bunten Kaltemails in rot, grün und blau waren bei Nürnberger Trinkschiffen zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht unüblich, sind aber nur in wenigen Fällen erhalten geblieben. Sie unterstrichen einerseits den Naturalismus der Szene, verdeutlichen aber gleichzeitig den pretiösen Charakter des aufwendig gestalteten Schiffes. In seiner Form und Ausstattung passt sich das als Scherzgefäß fungierende Trinkgeschirr nahtlos in die Nürnberger Trinkschiffe seiner Zeit ein.
Nürnberger Trinkschiffe und ihre Verbreitung
Seit dem 14. Jahrhundert wurden Tafelschiffe an Fürstenhöfen als Tischdekoration oder Schauobjekte auf dem Buffet verwendet. Trinkschiffe aus Nürnberg sind seit Anfang des 16. Jahrhunderts bekannt. Sie waren insbesondere in der ersten Hälfte des 17 Jahrhunderts in Mode. Einige Nürnberger Goldschmiede, insbesondere Georg Müllner, Tobias Wolff und Esaias zur Linden spezialisierten sich auf die Fertigung dieser aufwendigen Pokale, um der hohen Nachfrage der aufwendig ausgestatteten Trinkspiele gerecht zu werden. Kein anderer Meister war in diesem Metier jedoch so produktiv wie Esaias zur Linden: Das vorliegende Tafelschiff wurde – wie viele weitere Schiffspokale und Trinkschiffe auf Rädern – von dem dafür weit bekannten Goldschmiedemeister angefertigt.
Historischer Kontext
In Frankreich hat man im Mittelalter Gefäße in Form eines Schiffes benutzt, um Wein, Gewürze und Trinkbecher für den Herren aufzubewahren. Giftanschläge mittels Getränke waren im Mittelalter häufiger. Die Verwendung solcher Schiffe sollte dem Herrn auch die Sicherheit geben, dass Essen und Getränk frei von Giften waren. In einem religiösen Kontext wurden schiffsförmige Geräte ebenfalls benutzt (z.B. als Weihrauchfass). Diese dienten als ein Symbol der Kirche und des Gottes zur Erlösung des Menschen. Darüber hinaus gibt es Berichte über die Herstellung von Schiffen aus Silber und anderen preziösen Materialien, die als Votivgaben für eine unbeschadete Rückkehr von einer gefährlichen Reise in die Kirche gebracht wurden. So hat beispielsweise Margarete von der Provence (1221-1295), ein Nef der Kirche von Saint-Nicolas in Saint-Nicolas-de-Port in Lorraine 1254 als Zeichen Ihrer Dankbarkeit für die sichere Rückkehr Ihrer Familie gespendet. Im deutschen Kulturraum und in Mittel- und Westeuropa sind Schiffe als Trinkgefäße oder Tafelaufsätze seit dem frühen 16. Jahrhundert bekannt. Anlässlich der Hochzeit Wilhelms V von Bayern mit Renata von Lothringen 1568 standen auf der Tafel 20 Salzgefäße in Form von Schiffen, alle Silber oder Silber vergoldet (Lehne 1985: 84). Laut neuester Forschung wurden sie im 17. Jahrhundert auch als Salz- bzw. Gewürzgefäße benutzt. Dabei steht sicher die Dekoration einer Tafel im Vordergrund. Bei einem Dinner wurden solche Schiffe in der Nähe des wichtigsten Gastes am Tisch platziert. Schiffe, die keinen Ausguss bzw. keinen Trinkrohr haben, dienten als Salzgefäße, bzw. sollten den Transport des Salzes repräsentieren, wie ein neuer, archivarischer Bericht aus Danzig nachweist. Schiffe waren ein Status Symbol und sollten die Bedeutung eines bestimmten Gastes am Tisch symbolisieren. Darüber hinaus gilt das Schiff als Symbol eines erfüllten und langen Lebens. Augsburg und Nürnberg waren als große Zentren der Goldschmiedekunst in Süddeutschland auch auf die Herstellung von Schiffen spezialisiert. Schiffe sind außerdem im Zusammenhang mit der Beliebtheit und Vielfalt der Tischbrunnen im 16. und 17. Jahrhundert zu betrachten (s. Wiewelhove, 2002, S. 91-2). Die Phantasie und künstlerisches/handwerkliches Können der Augsburger und Nürnberger Meister entfaltet in dieser Periode durch die Herstellung von Tisch- und Vexiergeräten meisterhaft. Im Allgemeinen waren solche Schiffe nicht die Nachbildung eines schon existierenden Schiffes. Diese waren eher Beweise der kreativen Phantasie des Meisters, der existierende Entwürfe von Schiffen – zeitgenössisch oder auch älter – als Vorlage verwandte. Nefs waren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sehr beliebte luxuriöse Gefäße und wurden oft als außergewöhnliches Geschenk vergeben. Ein sehr schönes, historisch bedeutendes Exemplar im musée des Arts décoratifs in Paris zeigt die symbolische Kraft von Schiffen. Für die Goldschmiede in Süddeutschland war wohl das Schlüsselfelder Schiff (ca. 1503) (im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg) eine ständige Referenz. Dieses war allerdings ein deutlich für das Trinken hergestelltes Schiff. Ähnlich wie bei dem Schlüsselfelder Schiff hat sich der Meister des vorliegenden Schiffes dazu entschlossen, eine alarmierende Szene im Alltag des Schiffes zu zeigen. Die Schiffbesatzung steht hochkonzentriert auf dem Deck und schaut in die Ferne. Das Schiff stellt einen wichtigen Moment seines Lebens auf See dar. Dies sollte den Gästen eines Dinners Gelegenheit geben, sich über die Symbolik des Schiffes, seine Entstehung sowie die handwerkliche Kunst des Meisters zu unterhalten.
Meister
Der Goldschmied Esaias zur Linden lehrte das Goldschmiedehandwerk ab 1593 bei Hans Peter Rahn, einem Züricher Goldschmied. Er erhielt 1607 das Bürgerrecht in Zürich und schloss die Meisterprüfung im Jahr 1609 ab. Bereits 1610 konnte er sich die für Zugezogene erhöhten Gebühren für den Erwerb des Bürgerrechts in Nürnberg leisten und war bis zu seinem Tod 1632 in der Reichsstadt Nürnberg tätig.
Esaias zur Linden schuf zwischen 1610 und seinem Tod 1632 mehr als 60 Schiffspokale und Trinkschiffe auf Rädern, Humpen und Kredenzen, die Fassung zweier Bergkristallpokale, eine Rhinozeros-Hornschale und mehrere Traubenpokale.
Zur Lindens Tafelschiffe erreichten Weltruhm und werden heute in renommierten Museen wie dem Metropolitan Museum in New York, dem Nationalmuseet Kopenhagen, der Eremitage St. Petersburg, der Rüstkammer des Moskauer Kreml, dem Victoria & Albert Museum in London, dem Landesmuseum Württemberg in Stuttgart, dem Krakauer Wawel, der Kunstgewerbesammlung Bielefeld – Stiftung Hülsmann, dem Schweizerischen Landesmuseum Zürich (dort ebenfalls mit Kaltmalerei), der Sammlung Angewandte Kunst, Kassel museumslandschaft hessen kassel (mit Kaltmalerei), dem Kunsthistorischen Museum Wien, und weiteren bedeutenden Sammlungen aufbewahrt.
Provenienz
Das vorliegende Tafelschiff stammt gemäß dem Inhaltsinventar vom Dezember 1886 aus der Sammlung des Barons Carl von Rothschild in Gunthersburg. Es gelangte über seine Tochter Baronin James de Rothschild in eine europäische Privatsammlung und von dort 2018 in den Kunsthandel J. Kugel, Paris. Das Objekt wird auch von Marc Rosenberg in R3, Bd. 3, 1923 unter MZ4135d erwähnt.
Information
Beschauzeichen: N im Rund, Nürnberg 1609/1629 (Nürnberger Goldschmiedekunst 2007, BZ13)
Meisterzeichen: Esaias zur Linden (R3 MZ4135d; Nürnberger Goldschmiedekunst 2007, MZ0527a); ein stilisierter Lindenbaum mit 3 knorrigen Wurzeln im Hochoval
Material: Silber, getrieben, gegossen, punziert, ziseliert, teilvergoldet; partielle Farbfassung in Kaltemail
Höhe: 21 cm, Länge: 16,2 cm, Breite 6,2 cm
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