Berlin 1877 - 1962 Murnau
Dame mit blauem Hut
1927, Öl auf Karton
51 x 39 cm
Gabriele Münter erinnerte sich 1952, sie zeichnete schon als Kind: »Ich
versuchte nicht Ereignisse und Handlungen darzustellen. Einzig die bleibende
Erscheinung fesselte mich am Menschen – die geprägte Form, in
der sich sein Wesen ausspricht.«
Unser Gemälde von 1927 zeigt im klassischen Brustbild eine Dame
zur linken Bildhälfte gedreht, die im Bildvordergrund sitzend, aus dem
Gemälde direkt am Betrachtenden vorbeischaut. In der linken Hand
einen Löffel haltend, mit der rechten ihr Kinn aufgestützt, sitzt sie an
einem Tisch im Freien, vor einem See, auf dem ein Segelboot fährt. Die
Frau selbst ist in ein beiges Hemd gekleidet mit karierter Krawatte,
einem lila Hut und kurzen oder hochgesteckten Haaren.
Gabriele Münter war mehr als nur eine Malerin des bayrischen Voralpenlands
– sie war eine Kosmopolitin. Ihre Inspiration und Anregung
fand sie während ihrer Aufenthalte in den USA, München, Paris, Skandinavien
und Berlin. Unser Gemälde von 1927 entstand in Berlin. Kurz zuvor
lebte Münter in Köln, danach zog es sie bis 1930 nach Frankreich, bis sie
sich schließlich wieder in Murnau niederließ. Sie sprach fünf Sprachen,
verkehrte in angesagten Künstlertreffs, pflegte ein breites Netzwerk
an Galerist:innen und Mäzen:innen, was auch ihre Porträts als Zeitzeugnisse
belegen, wie das von der Journalistin Sylvia von Harden.
Die Thematik der Menschenbilder beschäftigte Gabriele Münter ihre
gesamte künstlerische Laufbahn über, in unterschiedlichen Medien wie
der Fotografie, Zeichnung, Druckgrafik und Malerei. Im OEuvre kann
zwischen Porträts ohne Attribute und beschreibende Hintergründe
sowie Figurenbildnissen, wo die Porträtierten in der Landschaft oder
im Innenraum wie in einem Genrebildnis dargestellt werden, unterschieden
werden. Befreit von der Suche nach der Ursprünglichkeit und
Klarheit der Form, wie sie in der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts
prägnant für Münter war, fasst Kathrin Baumstark zusammen, entstehen Ende der 1920er Jahre außergewöhnliche Menschenbilder:
Die emanzipierte Frau, Frauen aus ihrem Umfeld, male Münter expressiv,
farbig, genauso wie mit gedeckter Palette und im Stil der Neuen Sachlichkeit
– ihre Formensprache werde schlichter und durch eine flächigere
Malweise bemühe sie sich darum, die Spuren des Malprozesses weitestgehend
zu reduzieren. Baumstark formuliert weiter, dass die Parallelität der Stile ein Merkmal in Münters Schaffen sei, was ihre Neugierde und Experimentierfreudigkeit besonders in diesem wechselvollen
Lebensabschnitt zeige. Die Frau wird hier nicht als erotisch aufgeladene Provokation, sondern als Alltagsmotiv, das die Frau als Subjekt ernst nimmt, dargestellt. Gabriele Münter stand zu oft im Schatten von Wassily Kandinsky. Aber mit immer weiteren Retrospektiven wie zuletzt 2018 im Lehnbachhaus München und Museum Ludwig in Köln (»Malen ohne Umschweife«) und nun auch die erste kuratorisch und wissenschaftlich aufgearbeitete Ausstellung zu Münters Menschenbildern im Bucerius Kunst Forum
im Frühjahr 2023 zeigen, wie wichtig und eigenständig Gabriele Münter als Malerin war.