New York 17.07.1871 - 13.01.1956 New York
Lyonel Feininger, Village, 1908
1911, Farbige Kreide auf dünnem Maschinenbütten
16,6 x 10,7 cm
Die Zeichnung "Village" stammt aus dem Jahr 1908, einem Zeitraum, der als Wendepunkt im Leben des Künstlers angesehen wird. Feininger zieht von Paris nach Berlin und wird im Verlauf des Jahres mit der Arbeit an seinen berühmten Grotesken- und Mummenschanzbildern beginnen. Er scheint sich gerade von einem äußerst innovativen Karikaturisten, zu einem eigenständigen Zeichner und Maler zu entwickeln. Das höchstwahrscheinlich zwischen Mai und August 1908 entstandene Blatt ist Teil einer Werkreihe figurativer Architekturzeichnungen, die den von Feininger stets angestrebten experimentellen und freien Umgang mit dem Zeichenstift offenbaren und die typische Akzente wie das Groteske, Gefühle und Phantasie widerspiegeln.
Die vom Zusammenspiel der Architektur mit skurrilen, silhouettenhaft erfaßten Figuren auf einem Dorfplatz geprägte Komposition beschäftigt den Künstler noch länger und inspiriert ihn 1911 zu einem bis heute vermutlich verschollenen Gemälde mit dem Titel "Häuser und Menschen“ (auch „Sonnenaufgang“ genannt). Im Vergleich der beiden werden die Unterschiede und die Bedeutung der kleinen, um ein Vielfaches dynamischeren und spontanen Zeichnung deutlich, die keineswegs als bloße Vorstudie, sondern vielmehr als ganz eigenständiges kleines Meisterwerk anzusehen ist (das bezeugt auch die unregelmäßige, blaue Umrahmung des Künstlers). "Village" ist eine Ankündigung dafür, daß Feininger das Architekturmotiv in der Malerei revolutionieren wird. Zusätzlich verleiht die herausragende Provenienz – erster Besitzer ist der bedeutende Museumsdirektor und ausgewiesene Förderer sowie Kenner des Werks von Feininger, Alois Jakob Schardt – dem Blatt noch eine weitere, durchaus bemerkenswerte Dimension. Schardt und Feininger verbindet eine gegenseitige lebenslange Freundschaft und Wertschätzung sowie eine große Übereinstimmung im Kunstverständnis. Nicht zuletzt Arbeiten wie „Village“ mögen vielleicht der Ursprung dafür sein, daß Schardt, der sich von Feiningers Kunst, insbesondere den Zeichnungen, von Anfang an begeistert zeigt, dem Künstler 1929 den größten und einzigen Auftrag seiner Karriere, den legendären „Halle-Zyklus“ für das dortige Kunstmuseum anvertraut.