Stuttgart 1889 - 1955 Stuttgart
Sterbender Schwan (Schwarz über Weiß) auch »Eidos mit den schwarzen Formen, genannt Sterbender Schwan«
1940, Öl auf Karton
65,5 × 54 cm
Das Gemälde »Sterbender Schwan« von 1940 gehört zu den programmatischen Bindegliedern im Werk Willi Baumeisters - zwischen seinen phantastischen Entdeckungsreisen in Goethes Welt des Urpflanzlichen und der Spurensuche nach modernen Mythen, die ihn zu den »Eidos«-Bildern führten, malte er insgesamt vier Varianten zum Thema »Sterbender Schwan« - mit wechselnden Titeln: Die vorliegende Arbeit hieß alternativ »Sterbender Schwan« oder »Schwarz über Weiß«, wurde aber auch sinnfällig genannt »Eidos mit den schwarzen Formen, genannt Sterbender Schwan«. Das griechische Wort »eidos« meint »Idee« bzw. »Urbild« - im Kontext von Baumeisters Schaffen trefflich gewählt, da es Platons Ideenlehre und Goethes Naturlehre vereint. Der Hintergrund war freilich - auch biographisch - ernster. Der innere Emigrant Baumeister litt wie seine Freunde Oskar Schlemmer und Julius Bissier unter dem Berufsverbot durch die Nationalsozialisten. Allein Baumeister, der früh Kontakte zu internationalen Künstlern - insbesondere in Frankreich - gesucht hatte, fand zu einer atemberaubenden Freiheit in der Gestaltung seiner Themen, deren Mythenhaftigkeit und ungebändigte Phantasie sich über die geistige Enge und die Repressalien erhoben. Im »Sterbenden Schwan« türmen sich organisch wirkende weiße Formen schwebend übereinander, durch amöbenhafte und ideogrammatische Chiffren von ähnlichen, aber schwarzen Formen getrennt, welche das Bild nach oben beschließen. Die zauberhafte Szenerie ist hinterlegt von einer schwirrenden, ins verhalten Pointillistische reichenden Farbigkeit und linearen Figurationen, deren eine am rechten Bildrand als Umriss eines Schwans gedeutet werden kann. Viel wichtiger als eine irgendwie konkrete Erscheinung ist Baumeister gewiss die chiffrierte Darstellung des Sterbens, hier als Akt der Loslösung im zentralen weißen, abstrakt flügelhaften Motiv sowie in dessen Übergang ins Schwarz einer entweichenden Seele. Eine hochgestreckte lineare Form zieht sich schräg über das Bild und bindet die weißen Elemente zu einer gedacht zusammengefügten Figur, deren geröteter Kopf zum Ausdruck ei-ner großen Klage gerät. Eine bislang unveröffentlichte, weitgehend übereinstimmende, 1940 datierte Zeichnung in Württembergischem Privatbesitz wird in den Nachtrag zum Werkverzeichnis von Ponert durch Felicitas Baumeister und Ulrike Gauss aufgenommen werden.