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März 2025

Feiner Strich und Kugelschreiber

Manchmal ist es gut, den Blick wieder auf ein Gebiet der Kunst zu richten, das mehr Konzentration erfordert als ein farblich ausgewogenes Gemälde: die Zeichnung.

Wie intensiv sie von der inneren und äußeren Welterkundung erzählt, von der Suche nach dem Menschlichen im Antlitz eines anderen, führen uns derzeit die großartigen Ausstellungen Den Menschen vor Augen in der Graphischen Sammlung München und Leonardo – Dürer in der Albertina in Wien vor. Da wird einem schnell klar, dass es zu kurz gedacht ist, die Zeichnung ausschließlich als fixierten Moment zwischen dem Aufblitzen einer Idee und finalem Werk zu sehen. Schon in der Renaissance haben ihr etwa Hans Baldung Grien und Albrecht Dürer autonomen Charakter zugestanden.

Und verraten sie nicht letztlich Konzept, Stil und Meisterschaft einer Künstlerpersönlichkeit? Viele Aussteller der Munich HIGHLIGHTS, die nach VIP-Preview und Vernissage vom 16. bis 19. Oktober 2025 stattfindet, werden das laut bejahen. Und ganz besonders Dr. Martin Moeller, Florian Sundheimer und Marco Pesarese, die nächste Woche auf dem Salon du Dessin in Paris präsent sind. Die Zeichnung ist ein packendes Medium!

Slawomir Elsner, Mondnacht am Meeresstrand (nach Caspar David Friedrich, um 1808), Buntstift auf Papier, 23 x 31 cm.     
Courtesy: Galerie Gebr. Lehmann / © Slawomir Elsner

Der Buntstift ist Slawomir Elsners Material, die Adaption bekannter Meisterwerke eines seiner Konzepte. Der in Berlin lebende Künstler treibt mit seinen vielschichtigen Zeichnungen ein Spiel mit der zeitlichen Distanz, indem er das Bekannte präzise wie ein Analytiker mit Unschärfe überzieht. Das Caspar David Friedrich-Motiv ist der Dresdner Galerie Gebrüder Lehmann verständlicherweise besonders nah.

Adolph von Menzel, Kopf eines bärtigen Mannes, Bleistift auf Papier, sign., 21,1 x 13 cm.
Courtesy: Kunkel Fine Art

Menzel ist unbestreitbar der wichtigste Vertreter des deutschen Realismus im 19. Jahrhundert. Brillant und manisch zeichnend „wo er geht und steht“, so ein Zeitgenosse. Für ihn war es ein Weg, die Welt bis ins Kleinste zu erfassen, wie etwa die Spuren des Lebens in diesem Männergesicht. Zugleich erprobte Menzel die Wirkung der Kopfhaltung. Mal etwas nach vorn geneigt, das andere Mal eine leichte Untersicht. Eine typische Menzel-Charakterstudie, meint HIGHLIGHTS-Aussteller Dr. Alexander Kunkel.

Wilhelm Kuhnert, Kampf zwischen einem Elefanten und einem Nashorn in der afrikanischen Steppe, 1891, Feder und Pinsel über Bleistift, 24,8 x 37,2 cm. Courtesy: Dr. Moeller & Cie Kunsthandel

Szenische Dramatik und exakte Physiognomie. Diese Mischung macht einen Großteil der künstlerischen Wirkung des imposanten Blatts von Wilhelm Kuhnert aus, das Dr. Moeller & Cie anbietet. Der Künstler aus Berlin galt als einer der besten Tierzeichner seiner Zeit. Viermal brach er zu Expeditionen nach Afrika auf und prägte mit seinen Landschafts- und Tierdarstellungen die Vorstellung von der Natur dieses Kontinents. 

Yves Tanguy, Surrealistische Komposition, Tusche auf Bütten, 1936, sign., 54,3 x 40,7 cm.
Courtesy Galerie Florian Sundheimer

Eines der berühmtesten Gemälde Yves Tanguys heißt „La Lumiere, la Solitude“ und auch wer diese Zeichnung mit den zerfließenden, amorphen Gebilden anschaut, spürt die Einsamkeit, die das Werk des Surrealisten umkreist. Tanguys Welt ist stets verschlüsselt. Warum sollte das auf der mit feinem Strich und ganz ohne Binnenstruktur gezeichneten Komposition, das der Galerist Florian Sundheimer im Portfolio hat, anders sein?

Nadine Fecht, MULTITUDE – Die Vielen als Viele #18, 2024, Kugelschreiber auf Papier, 257 x 157 cm.
Courtesy: Drawing Room Hamburg   

Die Hand folgt beim Zeichnen und Malen nicht nur einer Bildidee, sie lässt sich auch von Intuition, unkontrollierten Gesten und Stimmungen leiten. Die Surrealisten bezeichneten diesen Vorgang als dessin automatique, Jackson Pollock nannte es drip painting. Nadine Fecht hat diese Methode ins 21. Jahrhundert übertragen und realisiert auf diese Weise Zeichnungen von komplexen, assoziativen Strukturen. Laut ihrer Galerie Drawing Room steckt die Tinte von 2400 Kugelschreibern in der wandfüllenden Zeichnung. 

Egon Schiele, Sitzender weiblicher Akt, 1913, Bleistift auf Papier, sign. und dat., 44,8 x 28,9 cm.
Courtesy: Galerie bei der Albertina-Zetter

Radikal, provokant, genial – Egon Schieles Zeichnungen werden heute viele Etiketten angeheftet. Immer wieder hat er den Körper und die Pose als Ausdrucksmittel seiner Darstellungen genutzt. Erotische Details waren kein Tabu. Im Gegenteil. Sie sind Teil seiner Expressivität während des Moderne-Aufbruchs im zugeknöpften kaiserlichen Österreich. Die Zeichnung aus dem Angebot der Galerie bei der Albertina-Zetter stellt wahrscheinlich Schieles Ehefrau Marie dar.

AUSSTELLUNGS-TIPP: S.L. CHEANGS ERFAHRUNGS-MASCHINE

Shu Lea Cheang, KI$$ KI$$, Lichtinstallation, 1994. Foto: Haus der Kunst / © Shu Lea Cheang

Es leuchtet derzeit in einem elektronischen Farbkanon im Haus der Kunst München. Internetbasierte Installationen und Software-Interaktionen der in New York lebenden Taiwanesin Shu Lea Cheang verbinden sich zu einer Erfahrungs-Maschine. Von Raum zu Raum folgt man einer Science-Fiction-Erzählung, bestehend aus Videos, Netzwerk-Technologie und künstlicher Intelligenz. Schon in den 1990er Jahren beschäftigte sich die heute über Siebzigjährige mit Gesellschaften, die von Videospielen beeinflusst sind, Tech-Sphären und Biotechnologie. „KI$$ KI$$ KILL KILL“ ist die erste große Überblicksschau der Künstlerin (Haus der Kunst, bis 3.8.2025).

EXPERTEN-TIPP: KUNSTVOLATILITÄT UND POLICEN

Frau Dopplinger, der Kunstmarkt ist derzeit volatil. Ultrajunge Kunst hat es schwerer, Werke von Künstlerinnen steigen in der Sammlergunst. Passen sich die Policen der HDI Kunstversicherung art&lifestyle automatisch an diese Veränderungen an?

Solche Tendenzen werden nicht pauschal, sondern stets individuell in der Neubewertung berücksichtigt. Als Underwriter der HDI Kunstversicherung art&lifestyle gehört es zum Selbstverständnis, sich mit den Marktentwicklungen auseinanderzusetzen. Bei den Künstlerinnen sehen wir in der Tat eine positive Entwicklung. 

Christina Dopplinger, Senior Underwriterin HDI art&lifestyle